im Gespräch

Barrierefreiheit ist mehr als nur behindertengerecht.

Eines unserer Erfolgsgeheimnisse seit über 30 Jahren: Auch wenn wir nicht jedem Trend hinterherlaufen, haben wir uns immer den jeweils wichtigen Herausforderungen und Themen gestellt, unsere Mitarbeiter*innen qualifiziert und Kompetenzen zielgerichtet ausgebaut. Denn als größtes Architektur- und Planungsbüro der Region ist für uns die kompetente und ganzheitliche Betreuung unserer Kunden das unverzichtbare Fundament unserer Projekte.

Seit Anfang 2021 können wir nun mit unserer Fachplanerin für Barrierefreies Bauen den Fokus auf ein Thema von höchster gesellschaftlicher Relevanz legen – als erste in der Region. Wir sprachen mit Architektin Julia Hübner über ihre Leidenschaft für ein oft unterschätztes und wenig bekanntes Gebiet.

Frau Hübner, was macht das Barrierefreie Bauen aus?

Barrierefrei wird oft mit behindertengerecht verwechselt. Das stimmt nicht! Barrierefreies Bauen beschäftigt sich mit den Belangen und Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen – aber z.B. auch von alten Menschen. Barrierefreiheit ist auch wichtig für Mütter mit Kinderwagen. Eine Treppe ist eine Barriere – nicht nur für Rollstuhlfahrer! Für den ist eine Rampe an der Treppe unerlässlich – aber für die Mutter mit Kinderwagen ist die auch richtig super! Und einfach bequem und angenehm.

Der Grundgedanke beim Barrierefreien Bauen ist es, für viele unterschiedliche Zielgruppen die Barrieren abzubauen?

Genau. Was für einige zwingend notwendig ist, ist für andere vielleicht nur bequem. In beiden Fällen erleichtert es den Alltag der Menschen.

Wieso braucht es für so ein Thema Fachplaner*innen?

Ich führe ganz oft Diskussionen mit Kollegen, die den Unterschied zwischen behindertengerecht und barrierefrei gar nicht kennen. Die denken bei dem Thema sofort an den Rollstuhlfahrer. Dabei gibt es wahnsinnig viele Arten von Behinderung. Es gibt ja zum Beispiel auch Sprachbarrieren. Nicht jede Behinderung ist sichtbar. Nicht jeder Behinderte sitzt im Rollstuhl.

Dieses Bewusstsein fehlt noch ein bisschen in unserer Gesellschaft. Dass es jetzt immer öfter Fachplaner*innen für Barrierefreies gibt, sehe ich als gutes Zeichen: Nach und nach kommt dieses wichtige Thema bei uns an. Berlin ist da zum Beispiel schon sehr weit vorne dran. Hier wird das auch bauordnungsrechtlich zunehmend durchgesetzt. Wobei wir auch dort immer noch von Mindestanforderungen sprechen.

Welche wären das?

Ziel beim Planen und Bauen sollte doch sein, dass so viele Menschen wie möglich Zugang zu einem öffentlichen Gebäude, beispielsweise einem Amt haben und das auch nutzen können. Also zum einen, dass sie reinkommen – zum anderen, dass sie dann dort als Rollstuhlfahrer nicht auf eine Treppe stoßen, auf zu enge Flure oder auf fehlende Sanitärräume.

Denken Sie an einen blinden Menschen. Der muss erkennen, wo er hin muss, wie er das Gebäude nutzen kann. Man kann ja von einem blinden Menschen nicht verlangen, dass er immer einen anderen schickt, der für ihn aufs Amt geht.

Architekt*innen gehen da Ihrer Meinung nicht immer ausreichend auf die Bedürfnisse ein?

Naja, im Architekturstudium zum Beispiel wurden wir für das Thema schon sensibilisiert – aber bei weitem nicht in dem Umfang, der eigentlich erforderlich wäre. Das Thema wurde bisher oft eher stiefmütterlich behandelt.

 

Obwohl es, wenn man die gesellschaftliche Entwicklung betrachtet, zum zeitgemäßen Bauen dazugehören sollte.

Auf jeden Fall! Aber das fängt schon damit an, dass viele Bauherren die "vermeintlichen" zusätzlichen Baukosten scheuen. Ich sage bewusst "vermeintlich". Natürlich: Oft muss man mehr Fläche schaffen, braucht mehr Material. Natürlich kostet das mehr Geld. Aber das ist zu kurzfristig gedacht. Weil der Bedarf da ist, ja steigt.

Nehmen Sie den Wohnungsbau. Versuchen Sie mal in Plauen, mit einem behinderten Kind eine barrierefreie Wohnung zu finden. Finden Sie: kostet aber unheimlich viel Geld und ist meistens für die betroffenen Familien gar nicht bezahlbar. Wenn man bei Bauprojekten solche Anforderungen schon mitdenkt, hat man auf lange Sicht das attraktivere, das bessere Angebot.

Sie sind im Vogtland die erste Fachplanerin für Barrierefreies Bauen. War das in der Region bisher nicht so ein Thema?

In Sachsen und Thüringen hinkt man da etwas hinterher, das ist zumindest mein Eindruck.

Nehmen Sie die vorhandenen DIN-Normen für Barrierefreies Bauen. Die sind in Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen bauordnungsrechtlich eingeführt – mit einigen Abschnitten, die weggelassen wurden. In Sachsen und Thüringen ist es genau umgedreht: da ist die Norm zwar auch bauordnungsrechtlich eingeführt, aber nur einige wenige Abschnitte. Das finde ich schade.

Denn hier diskutiert man dadurch immer noch jedes Mal neu: Wieviele Wohnungen muss ich barrierefrei machen? Wieviele Wohnungen müssen rollstuhlgerecht sein? Es fehlt die eindeutige Regelung, die es in Brandenburg z.B. gibt. Oder in Nordrhein-Westfalen. Da gibt es eine Quote, wieviele Gasträume in Hotels barrierefrei sein müssen.

Was dann den Diskussionsbedarf reduziert.

Solche klaren Regelungen würde ich mir für Sachsen auch wünschen. Es wird noch etwas dauern, aber ich bin optimistisch, dass das kommt. Bei der Barrierefreiheit ist es wie anderswo auch: Es muss ein gesundes Mittelmaß geben zwischen den Interessen. Aber dafür muss man eben auch drüber sprechen.

Meine Spezialisierung auf das barrierefreie Bauen hat den Vorteil, dass ich die rechtliche Seite besser kenne, genauso wie die verschiedenen Möglichkeiten bei der Umsetzung. Dass wir hier im Team Bauherrn entsprechend kompetenter beraten und betreuen können. Und dass Barrierefreiheit im Zusammenhang der verschiedenen Abteilungen und Gewerke gedacht und geplant werden kann.

(Bild oben: pixabay/katermikesch)


29.07.2021

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